Vor 1985 herrschte das Nichts?
In der Schweiz wie auch anderswo war das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts eine Zeit tiefgreifender sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen. Die Industrialisierung brachte neue soziale Risiken mit sich, insbesondere in Bezug auf Gesundheit und Arbeitssicherheit, was zur Einführung erster sozialer Schutzmassnahmen führte. Gleichzeitig sensibilisierten Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegungen die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit, Schutzmechanismen bei Arbeitslosigkeit, Unfall oder Alter einzuführen.
Auch das Denken über soziale Verantwortung entwickelte sich: Arbeitgeber erkannten zunehmend die Bedeutung, ihre Mitarbeitenden auch nach der Pensionierung zu unterstützen. So entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts private Pensionskassen, insbesondere in Industrie- und Handelssektoren. Ihr Hauptziel war es, Rentenleistungen zu bieten. In einigen Wirtschaftszweigen spielten die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle bei der Einführung solcher Vorsorgesysteme, die ihren Mitgliedern bessere Lebensbedingungen im Alter ermöglichten.
Bereits 1885 zeigte sich die Stadt Zürich als Vorreiterin: Sie gründete die erste öffentliche Pensionskasse für ihre städtischen Angestellten und inspirierte damit andere Städte und Kantone.
1972: Das Drei-Säulen-System
Das Schweizer Volk stimmte der Aufnahme des Drei-Säulen-Prinzips in die Verfassung zu, das die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppen berücksichtigt.
Es basiert auf der Kombination einer staatlichen Existenzsicherung (AHV/IV), einer beruflichen Vorsorge mit Beteiligung des Arbeitgebers (BVG) und einer individuellen Vorsorge (3. Säule). Diese Abstimmung markierte einen Wendepunkt in der schweizerischen Sozialpolitik.
Über zehn Jahre hinweg war das künftige BVG Gegenstand intensiver politischer und wirtschaftlicher Debatten, bevor es 1982 endgültig angenommen wurde.
BVG: 1. Januar 1985
Das BVG, das Hauptgesetz der zweiten Säule, trat am 1. Januar 1985 in Kraft und vereinheitlichte die Normen, um ein Mindestmass an Schutz zu garantieren.
In vierzig Jahren sind die Pensionskassen zu einem wesentlichen Bestandteil des sozialen Sicherheitssystems der Schweiz geworden und sichern den Rentnerinnen und Rentnern eine bessere Lebensqualität.
Zum ersten Mal im Jahr 2025 profitieren Versicherte, die mit 65 Jahren in Rente gehen, von 40 Jahren gesetzlicher Sparbeiträge. Sie bilden somit die erste Generation, die eine vollständige BVG-Rente erhält.
1.Januar 1995: Jahr der Erweiterungen
Nach zehn Jahren Bestehen und um den demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wurde das BVG ab 1995 erweitert.
Neu konnte die versicherte Person beim Arbeitgeberwechsel ihr Vorsorgeguthaben mitnehmen – das sogenannte Freizügigkeitsprinzip. Dieses förderte die Mobilität der Arbeitnehmenden.
Ebenfalls 1995 trat die Verordnung zur Förderung des Wohneigentums (WEFV) in Kraft. Sie erlaubt es Versicherten, ihr Vorsorgeguthaben für den Kauf eines Eigenheims zu verwenden, das als Hauptwohnsitz dient – ein bedeutender Schritt zur Förderung des Wohneigentums.
2005: Ein Jahr der Reformen
In diesem Jahr wurde das BVG grundlegend revidiert:
- Senkung der Eintrittsschwelle (von CHF 25'320 auf CHF 19'350)
- Anpassung des Koordinationsabzugs (von CHF 25'320 auf CHF 22'575)
- Reduktion des Umwandlungssatzes (von 7,2% auf 6,8% über zehn Jahre)
Ziel dieser Anpassungen war es, rund 100'000 Arbeitnehmende mit tiefem Einkommen oder Teilzeitstellen in die zweite Säule einzubeziehen.
2010 – 2024: Gescheiterte Reformversuche
Im September 2024 lehnten 67% der Bevölkerung die BVG-Reform ab – bereits zum dritten Mal. Wie schon 2005 zielte sie darauf ab, die Eintrittsschwelle (CHF 19'845 statt CHF 22'050), den Koordinationsabzug (Prozentsatz statt Fixbetrag) sowie den Umwandlungssatz (von 6,8% auf 6%) anzupassen. Das Haupthindernis war die Senkung des Umwandlungssatzes, da diese die Renten um etwa 12% pro Jahr reduziert hätte.
Und jetzt?
Heute und in Zukunft stehen die finanzielle Nachhaltigkeit der zweiten Säule und die Anpassung an den demografischen Wandel im Mittelpunkt. Vorschläge wie ein früherer Beginn der Sparbeiträge für junge Mitarbeitende (vor dem heutigen Alter von 25 Jahren), eine glattere Staffelung der Sparbeiträge für die Altersgruppen 45–65, eine Senkung der Eintrittsschwelle oder eine Anpassung des Koordinationsabzugs werden weiterhin diskutiert – und könnten bald Gegenstand einer neuen Volksabstimmung werden.
Parallel zu einer möglichen Senkung des Umwandlungssatzes wird auch die Idee eines variablen Rentenbonus diskutiert. Damit könnten Pensionskassen je nach Anlageresultat und finanzieller Lage die Renten temporär erhöhen. Zu hohe garantierte Renten könnten langfristig die finanzielle Stabilität der Vorsorgeeinrichtungen gefährden.
Die Entwicklung der Arbeitswelt – mit Mitarbeitenden, die mehrere Teilzeitstellen haben oder selbständig sind und ihre Dienstleistungen verschiedenen Unternehmen anbieten – zeigt, dass die berufliche Vorsorge flexibler werden muss.
Fazit
Die berufliche Vorsorge muss sich weiterentwickeln, um den künftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Eine gemeinsame Reflexion über die Zukunft des Drei-Säulen-Systems ist notwendig, um die soziale Sicherheit der Arbeitnehmenden in der Schweiz langfristig zu sichern.